Das eroberte Museum – Carte Blanche

Galerie für Zeitgenössische Kunst
Für Carte Blanche (CB) stellte die GfZK Leipzig von 2008–2010 Sammlern, Unternehmen, darunter auch kommerziellen Galerien, gegen Geld ihre Ausstellungsflächen zur Verfügung. Das Buch analysiert die Beiträge der Privaten und stellt sie in einen größeren kunsttheoretischen und künstlerischen Zusammenhang. Überlegungen zum gewandelten Verhältnis von Kunst und Wirtschaft, zur Museumsgeschichte bzw. zu Verschiebungen im Verhältnis von öffentlich und privat stellen den Rahmen her, in den CB eingebettet ist.
Das eroberte Museum
Zu Carte Blanche: Ein Forschungsprojekt
der Galerie für Zeitgenössische Kunst
Herausgeber: Barbara Steiner
DEUTSCH
320 Seiten


mit zahlr. farb. und s/w Abbildungen
Broschur mit Schutzumschlag
Format: 17x24 cm
Euro 25,00
ISBN 978-3-86859-067-8
JOVIS Verlag GmbH
Auch in englischer Ausgabe erhältlich:
ISBN 978-3-86859-059-3
Erscheinungstermin: 2011

Carte Blanche VI
Gerhardt Wolff
Die VNG – Verbundnetz Gas AG ist eine europaweit tätige Unternehmensgruppe mit Hauptsitz in Leipzig. Ihr Kerngeschäft ist der Import und die Lieferung von Erdgas an Grosskunden. Weiterhin stellen die Unternehmen der VNG-Gruppe umfassende Transport- und Speicherlösungen für Erdgas sowie Energietechnologie und Energiedienstleistungen bereit. Die VNG-Gruppe ist traditionell im Osten Deutschlands verwurzelt, aber über Handelsaktivitäten, Beteiligungen und Kooperationen in ganz Deutschland und auch in Mittel-, Ost- und Südeuropa aktiv.


Gerhardt Wolff, geboren 1944 in Obernigk/Schlesien, studierte nach seiner Banklehre undseiner Tätigkeit im Auslandsgeschäft der Berliner Bank AG Betriebswirtschaftslehre an der Wirtschaftsakademie Berlin und an der Freien Universität Berlin, an der er von 1972 bis 1977 promovierte. Von 1977 bis 1985 war er Leiter des Vorstandssekretariats, Prokurist und Abteilungsdirektor im Kreditgeschäft bei der Grundkreditbank e. G. in Berlin. Im Anschluss daran war er bis 1992 Vorstandsmitglied der Krone AG, Berlin. Nach seiner Geschäftsführertätig- keit im Immobiliengewerbe wurde er 1993 in den Vorstand der VNG – Verbundnetz Gas Aktiengesellschaft für Kaufmännisches und Personal in Leipzig berufen. Von 2007 bis zu seinem Ruhestand im Oktober 2009 war er auch stellvertretender Vorstandsvorsitzender der VNG AG. Darüber hinaus lehrt Gerhardt Wolff seit 1997 an der Universität Leipzig als Honorarprofessor Internationales Management, seit November 2009 ist er als freiberuflicher Berater tätig. Neben einem breiteren gesellschaftlichen Engagement, zu dem auch Aktivitäten in den Bereichen Kultur, Sport und Soziales zählen, hat die VNG AG im Laufe der Jahre zwei bedeutende Kunstsammlungen aufgebaut: eine mit dem Schwerpunkt Fotografie und eine weitere mit Malerei und Grafik. Sie werden von den Kuratoren und Sammlungs-kustoden Frank-Heinrich Müller (Fotografie) und Christine Rink (Malerei und Grafik) konzipiert und betreut. Die Malerei/Grafik-Sammlung umfasst weitgehend Werke sächsischer Künstlerinnen und Künstler, vor allem von Studierenden oder Absolventen der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB). Die Fotosammlung der VNG AG zählt zu den wichtigsten zeitgenössischen deutschen Fotokunstsammlungen. Alle Aufnahmen stammen von ehemaligen Studierenden der HGB, die im Auftrag der VNG AG die gesellschaftlichen Veränderungen Ostdeutschlands zwischen 1991 und 2001 dokumentierten. Im Rahmen von Carte Blanche wurden Positionen aus den beiden Sammlungen zum ersten Mal gemeinsam präsentiert. Darüber hinaus bot die Ausstellung für die VNG AG den Anlass, unter dem Titel EAST – for the record einen neuen Baustein der Fotosam- mlung anzulegen, der in Form einer fotografischen Synopse Ereignisse der Jahre 1989 und 1990 zeigt.

 

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Kurz nach der Eröffnung der Ausstellung:
Ilina Koralova und Barbara Steiner
im Gespräch mit Gerhardt Wolff,
Frank-Heinrich Müller und Christine Rink



Ilina Koralova: Die VNG – Verbundnetz Gas AG war eines der ersten Unternehmen in den neuen Bundesländern, das Anfang der 1990er Jahre begonnen hat, Kunst zu sammeln. Welche Motivation haben Sie damals gehabt?

Gerhardt Wolff: Ich muss zunächst sagen, dass ich erst seit 1993 dabei bin. Was davor in den Köpfen meiner Vorgänger und meiner heutigen Kollegen vorgegangen ist, kenne ich nur von deren Erzählungen. Es gehörte aber schon viel Mut dazu in einer Zeit auf Kunst zu setzen, als die Zukunft des Unternehmens überhaupt nicht gesichert war. Das Unternehmen musste damals sehr kämpfen, um Erdgas aus Russland beziehen zu können, der Handel mit Norwegen war noch gar nicht in Sicht, und ob die Kunden bei der Stange bleiben würden,konnte niemand sagen.
Ein gewisser Idealismus gehörte damals wohl auch dazu. Die Aktionärinnen und Aktionäre haben das Engagement der VNG AG sehr unterstützt, auch Ruhrgas, heute E.ON Ruhrgas, hat dieses seit Jahrzehnten immer mitgetragen. 1992 jedenfalls hat die VNG AG Fotografen, eigentlich noch Studierende der Hochschule für Grafik und Buchkunst, beauftragt, eine Art Momentaufnahme über den Zustand der „Ex-DDR“, also über Ostdeutschland, zu machen. Diese Fotos wurden dann später „aktualisiert“. Das heißt, es wurden nach Jahren dieselben Orte erneut aufgesucht, um die Veränderungen festzuhalten. Damit wurde etwas Künstlerisches und auch etwas Zeitgeschichtliches von hohem Wert geschaffen. Davor hatte das Unternehmen bereits mit fachkundiger Hilfe begonnen, Zeichnungen und Malereien von Absolventen der Hochschule für Grafik und Buchkunst anzukaufen, um diese Mitarbeitern und Gästen in den Räumen des Unternehmens zu präsentieren. Auch bei diesem Teil der Sammlung ging es darum, auf das vorhandene Potenzial zu setzen, auf das, was in Leipzig entsteht. Dieses Engagement hat sich dann im Laufe der Jahre immer weiter ausgedehnt.

Barbara Steiner: Der Lokalbezug stand stets im Vordergrund?

Gerhardt Wolff: Unser Engagement hängt einfach mit Leipzig zusammen: Wir sind ein Leipziger Unternehmen und finden hier zudem ein besonderes Angebot vor. Was liegt also näher, als mit diesen Pfunden ein bisschen zu wuchern? Das, was in Leipzig passiert, wollten und wollen wir auch an anderen Orten zeigen. Wir sind nicht nur im Kunst-, sondern auch im Sozial- und Sportbereich sehr initiativ, aber die Kunst ist für uns nach wie vor etwas ganz Besonderes. Gestern habe ich in der Leipziger Volkszeitung gelesen, Leipzig solle sich doch mehr über Kunst und 1989 definieren. Das ist eine gute Formulierung. Kunst und 1989, das sind Schwer- punkte, mit denen sich Leipzig auch in der Außenwirkung positiv bemerkbar machen kann.

Barbara Steiner: 1990 wusste niemand – auch nicht die VNG AG – was aus Leipzig werden würde.

Gerhardt Wolff: Absolut richtig. Ich war im Februar 1990 zur letzten DDR-Messe in Leipzig und fand es grausig.Die Luft war enorm verpestet und die Stadt sah einfach verkommen aus. Ich bin damals wieder geflüchtet. Als ich 1993 dann wieder Leipzig besuchte, hat mich das, was im Entstehen war, sehr beeindruckt.
Die Veränderungen waren schon deutlich sichtbar.

Barbara Steiner: Vom Vorstandsvorsitzenden, Herrn Holst, weiß ich, dass der Impuls zum ersten Teil der VNG-Fotosammlung wesentlich persönlichen Beobach- tungen, Erlebnissen und Erfahrungen zu verdanken ist. Damals wohnte er in der August-Bebel-Straße in Leipzig und er sagte, beim Blick aus dem Fenster habe er auf die vielen Schornsteine gesehen und gewusst: So bleibt es nicht. Daraus sei das Bedürfnis entstanden, das Verschwindende im Bild festzuhalten.
Die fotografischen Bilder sind geblieben,ihre materiellen Bezugspunkte dagegen verschwunden.

Gerhardt Wolff: Die jeweilige persönliche Erinnerung ist natürlich auch geblieben, aber man kann sie schwer sichtbar machen.

Ilina Koralova: Wie ist der Kontakt zu Ihnen als Kuratorin und Kurator, Frau Rink und Herr Müller, entstanden ?

Frank-Heinrich Müller: Ich bin als junger Fotografiestudent über Frau Rink mit der VNG AG in Kontakt gekommen.

Christine Rink: Die Kontaktaufnahme lief eigentlich nicht über mich, sondern über meinen Mann, der damals Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst war. Er hatte die Idee, eine studentische Gruppe von Fotografen zusammenzustellen. Ich leitete damals die HGB Galerie, sodass ich quasi an der Quelle saß und sehr viele der Studierenden persönlich kannte. Die Kontaktaufnahme von VNG und HGB ist also relativ unspektakulär gelaufen.

Frank-Heinrich Müller: Jedenfalls hatte Frau Rink unseren Bitterfeld-Katalog auf dem Tisch liegen, und dieser hat dann Herrn Holsts Interesse geweckt. Er kannte dieses stinkende, sich im Umbruch befindliche Industriedreieck ja auch gut, und dort zu fotografieren, schien ihm für das VNG-Vorhaben die beste Voraussetzung zu sein. Herr Holst wollte die enormen gesellschaftlichen Veränderungen fotografisch begleitet sehen, und wir hatten in Bitterfeld schon einmal einen solchen Ansatz verfolgt.

Barbara Steiner: Standen beim Aufbau der Fotosammlung also gar nicht so sehr künstlerische Aspekte im Vordergrund, sondern war es mehr der Gedanke der Dokumentation ?

Frank-Heinrich Müller: Anfangs stand der Auftrag an sich im Vordergrund,
an Kunst haben wir nicht gedacht. Wir waren ja noch Studenten, außer Matthias Hoch, der als Meisterschüler dem HGB-Zusammenhang praktisch schon entwachsen war. Es war für uns eine völlig neue Erfahrung, von einem Unternehmen den Auftrag für ein Projektmanagement anzunehmen, denn wir haben nicht nur selbst fotografiert, sondern auch andere Fotografen beauftragt bzw. Fotos für die im Aufbau befindliche Sammlung angekauft. Für uns war neu, überhaupt über ein „Projekt“ zu reden und nicht über einzelne Arbeiten.

Barbara Steiner: Wann wurde das Projekt erstmals öffentlich gezeigt?

Frank-Heinrich Müller: Zum ersten Mal wurde es beim Erdgaskongress
in Mailand unter dem Titel EAST gezeigt. Damals wurden wir gefragt, warum das Unternehmen auf solch desolate Motive setzen würde. Als die VNG AG das neue Gebäude bezog, stießen wir ebenfalls zunächst auf Ablehnung. Auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens waren von den Motiven nicht sonderlich begeistert: „Hm, was hängt denn hier ? !“, hieß es erstmal. Wenn ich heute ein Bild abnehme, um es in einer Ausstellung anderswo zu zeigen, dann heißt es: „Was machen Sie denn da ? Sie können doch hier nicht einfach ein Bild wegnehmen !“ Plötzlich gibt es eine Art Identifizierung. Die Bilder werden auch immer wieder umgehängt. Wenn ich mit jemandem durchgehe, und die Fotos hängen gerade wieder anders, bemerke ich, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Unternehmen schon ihren eigenen Umgang mit der Fotosammlung
entwickeln. Bei der Malereisammlung ist das meines Wissens nicht so.

Christine Rink: Doch, doch !

Barbara Steiner: Wann ist dann das Interesse an der künstlerischen Dimension der Sammlung ins Spiel gekommen? Und wodurch?

Frank-Heinrich Müller: Ich würde sagen, das war 1997 in Kopenhagen, als die VNG AG bei einem Gaskongress wieder ihre Fotos zeigte und dabei auch ein umfangreiches Buch dieser Bilder auf den Tisch legte. Die Frage „Ach, ihr macht das immer noch ?“ stand zwar im Raum, aber es kamen plötzlich auch Komplimente. Da war mir klar: So verkehrt konnte es nicht gewesen sein. So nach und nach wurde den Beteiligten, also auch dem Unternehmen, die Dimension des Fotoprojekts bewusst. Ich denke, ab diesem Zeitpunkt kam die Anerkennung.

Ilina Koralova: Herr Wolff, Sie haben schon erwähnt, dass sich die VNG AG auch in anderen Bereichen engagiert. Könnten Sie dazu mehr sagen ? Investiert
die VNG AG auch noch in andere Kunstprojekte oder eher in andere Gesellschaftsbereiche ?

Gerhardt Wolff: Wir investieren weniger in andere Kunstprojekte. Es gibt da noch das eine oder andere, wir unterstützen etwa Projekte in Norwegen oder in Polen, wo wir gerade tätig sind. Manches davon ist durchaus auch umstritten, also es ist nicht immer alles Friede, Freude, Eierkuchen, wie der Berliner sagt. Die anderen Förderungen liegen im sozialen Bereich. Wir haben dieses Verbundnetz der Wärme ins Leben gerufen, mit dem wir insbesondere ehrenamtliche Helfer im sozialen Bereich mit einem einmaligen kleinen Geldbetrag unterstützen und dafür sorgen, dass diese ehrenamtlichen Helfer ins Licht der Öffentlichkeit gerückt werden. Daraus ist ein Netzwerk über die neuen Bundesländer entstanden, das sich mittlerweile sehen lassen kann. Dann gibt es natürlich im sportlichen Bereich einiges. Hier beschränken wir uns jedoch nicht nur auf Leipzig, sondern wir agieren auch in anderen Bundesländern. Im politischen Bereich unterstützen wir das Verbundnetz für Toleranz, ein Bündnis gegen Extremismus.

Barbara Steiner: Kommen wir zur Kunst zurück: Können Sie „umstritten“ genauer erklären ?

Gerhardt Wolff: Es kann sein, dass Bilder negative Reaktionen auslösen. Unternehmen finden das natürlich weniger gut. Wir wollen grundsätzlich positive
Aufmerksamkeit erreichen und nicht Ablehnung oder negative Gefühle auslösen.

Barbara Steiner: Von Herrn Müller haben wir ja gehört, dass die Fotosammlung zumindest am Anfang eher negative Aufmerksamkeit erregt hat. Trotzdem war das Projekt für die VNG AG fortsetzungswürdig.

Gerhardt Wolff: Spätestens in Kopenhagen haben wir gesehen, dass wir damit auf dem richtigen Weg sind.

Barbara Steiner: Hat das Projekt Fotosammlung auch zu einer internen Debatte geführt ?

Gerhardt Wolff: Nein, es war klar, dass wir einen langen Atem brauchen würden, und die Personen, die darüber zu entscheiden hatten, waren dazu bereit. Heute ist das Fortführen der Sammlung kein Diskussionsthema mehr.

Barbara Steiner: Vielleicht noch kurz zu den Motivationen Ihres Engagements. Sie haben ja schon ein Stichwort, nämlich positive Identifikation, genannt. Diese richtet sich sowohl nach außen, an die Öffentlichkeit, als auch nach innen, an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Wie verhalten sich externe und interne Kommunikation zueinander ?

Gerhardt Wolff: Beides ist uns wichtig. Wir haben bemerkt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von den Kunstgegenständen, die wir mittlerweile
erworben haben, sehr angetan sind. Sie können Bilder für ihr Stockwerk aussuchen und sagen: „Ich möchte das Bild aus dem vierten Stock gerne mal bei mir im ersten aufhängen.“ Im Haus haben wir dafür die entsprechenden Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner. Sie kanalisieren die Anfragen und sorgen dafür, dass diese auch umgesetzt werden. Wir wollen keine statische Sammlung, sie soll in Bewegung sein. Darüber ergibt sich dann eine sehr lebhafte Auseinandersetzung über die Sammlungsstücke.

Barbara Steiner: Würden Sie in Ihrem Kunstengagement auch einen gesellschaftlichen Auftrag sehen und wenn ja, inwiefern?

Gerhardt Wolff: Natürlich gibt es auch einen gesellschaftlichen Auftrag. Wir tun das, was andere Unternehmen auch für sinnvoll halten – jetzt muss ich ins
Angelsächsische gehen, aber es passt einfach am besten –, nämlich ein corporate
citizen zu sein, ein guter Mitbürger. Das ist aktuell höchst umstritten, inwieweit
Unternehmen dies überhaupt sein können und wollen, aber wir meinen schon,
dass ein solcher Ansatz notwendig und möglich ist. Ich denke, durch unser Tun in
der Vergangenheit haben wir das auch ausreichend bewiesen. Wir sind durch unsere Aktionärinnen und Aktionäre bzw. Kundinnen und Kunden in der Region stark kommunal geprägt, von daher ist uns der räumliche Bezug sehr wichtig.

Barbara Steiner: Sich nicht gesellschaftlich zu engagieren wäre also imageschädigend ?

Gerhardt Wolff: Absolut.

Ilina Koralova: Kommen wir jetzt zur Sammlung. Die Frage geht an Frau Rink und Herrn Müller. Frau Rink, was ist der Schwerpunkt der Grafik- und Malereisammlung, und wie hat er sich ergeben ?

Christine Rink: Die Sammlung wurde 1992 gegründet, doch damals hat keiner – das muss ich ganz ehrlich sagen – von einer tatsächlichen Sammlung geredet. Es gab Überlegungen, wie man junge Absolventen unterstützen könnte, das heißt, es war auch durchaus ein sozialer Aspekt angedacht gewesen, und so ist es bis heute geblieben.

Barbara Steiner: Weil Sie von den Absolventinnen und Absolventen Bilder gekauft haben ?

Christine Rink: Ja, denn für ganz viele war es der erste Ankauf. Das hilft den angehenden Künstlerinnen und Künstlern sehr. Ich habe damals vor allem aus Meisterschüler- und Diplomausstellungen gekauft. Das Budget war nämlich nicht so groß, als dass man auch von älteren, arrivierteren Künstlerinnen und Künstlern
etwas hätte ankaufen können. Vor diesem Hintergrund habe ich dann entschieden – und das wurde von der VNG AG auch mitgetragen –, farbige Arbeiten auf Papier anzukaufen. In diesem Segment kann man schon ein Unikat bekommen, das heißt, es handelt sich nicht um eine Druckgrafik im herkömmlichen Sinne. Diese Entscheidung erlaubte es aufgrund der relativ niedrigen Preise auch, von einer Künstlerin oder einem Künstler mehrere Werke anzukaufen, also kleine Werkgruppen anzulegen. Keine der erworbenen Arbeiten ist seitdem in einem Depot verschwunden. Die Belegschaft hat immer mit dieser Sammlung gelebt. Als dann 1997 das neue Haus bezogen wurde, hatten wir plötzlich viel mehr Platz und konnten die Bilder sogar als Ausstellung auf einer Galerie zeigen.

Gerhardt Wolff: Diese Galerie ist auch für die Bevölkerung geöffnet. Die Leute können dort hinkommen und sich die Arbeiten ansehen.

Barbara Steiner: Frau Rink, ist das Budget im Laufe der Zeit gewachsen ?

Christine Rink: Es ist geringfügig gewachsen. Es gibt einen Fünfjahresplan, das mag im Osten Deutschlands komisch klingen, aber das Budget wird tatsächlich für fünf Jahre entschieden und dann auf die entsprechenden Jahre aufgeteilt.
Jedenfalls ist das Budget nicht in dem Maße gewachsen, wie man es sich vielleicht wünschen würde, aber es ist auf alle Fälle höher als in den Anfangsjahren, und das erlaubt mir auch, das eine oder andere größere Bild zu kaufen. Ich glaube, das teuerste Bild, das jemals erworben worden ist, ist von Hakon Blaken, einem norwegischen Künstler. Es hat damals 30. 000 DM gekostet.

Gerhardt Wolff: Das tatsächlich teuerste haben wir allerdings von einem Aktionär geschenkt bekommen: Herbst ’89 von Werner Tübke.

Christine Rink: Das stimmt, das Werk von Werner Tübke ist eine Schenkung. Mittlerweile ist es auch bei anderen Unternehmen zur Gewohnheit geworden, dass der VNG AG zu den Jubiläen, also etwa zum 50. Jahrestag, Bilder für ihre Sammlung geschenkt werden. Ich finde, das zeigt, dass die Sammlung auch von anderen Unternehmen als solche wahrgenommen wird.

Barbara Steiner: Sie sind ein sehr großes Unternehmen, und wir haben gehört, die Mittel für die Sammlung seien gering im Vergleich zu anderen Unternehmen ihrer Größenordnung. Wie kommt das ?

Gerhardt Wolff: Das ist immer ein Ringen. Es ist normal, dass die Wünsche größer sind als das, was man tatsächlich zur Verfügung hat. Ein privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen muss allerdingsin erster Linie Geld verdienen. Erst wenn wir es verdient haben, können wir es anschließend ausgeben. Gelingt uns dies, so haben wir etwas mehr Spielraum, wenn nicht, dann verengt er sich. Es muss also immer wieder neu durchdacht werden, was wir uns leisten können.
Und in diesem Zusammenhang kommen dann die Budgets zustande, wie von Frau Rink geschildert.

Barbara Steiner: Sie sind natürlich auch den Aktionärinnen und Aktionären verpflichtet. Es gibt doch bestimmt Nachfragen, wofür die VNG AG ihre Mittel ausgibt ?

Gerhardt Wolff: Das hängt von der jeweiligen Situation des Unternehmens ab. Bis in die Mitte der 1990er Jahre waren wir in den roten Zahlen und da fielen die Fragen entsprechend bohrend aus: Was macht ihr eigentlich mit dem Geld?
Wofür gebt ihr es aus? Solange man rote Zahlen schreibt, muss man sehr gute Begründungen für ein zusätzliches Engagement haben. Mit den schwarzen Zahlen wird es einfacher. Aber natürlich fragen unsere Aktionärinnen und Aktionäre regelmäßig im Aufsichtsrat nach, wofür das Geld ausgegeben worden ist.

Barbara Steiner: Haben Sie denn die Arbeiten auch in Ihre Bilanz eingestellt ?

Gerhardt Wolff: Selbstverständlich.

Ilina Koralova: Lassen Sie uns nun über Carte Blanche sprechen. Die Fotosammlung geht weiter ?

Frank-Heinrich Müller: Nach einer etwas längeren Pause und der Überlegung, was die VNG AG für Carte Blanche machen könnte, hat das EAST-Projekt vor einem Jahr noch einmal eine völlig neue Dimension bekommen. Ich habe Fotografinnen und Fotografen, von denen die meisten auch schon in der Sammlung vertreten sind, gefragt, ob sie ein Schlüsselbild für den Herbst 1989 parat haben.

Barbara Steiner: Hat es nicht sehr lange gedauert, ein solch umfangreiches Projekt in einem Unternehmen durchzusetzen ?

Frank-Heinrich Müller: Darum hängt ja auch das Bild einer Schwangeren am Anfang des Ausstellungsrundgangs – ein Hinweis auf die schwere Geburt des Projektes! [ lacht ] Das grüne Licht kam, als ich im März 2008 mit Herrn Holst
zusammengesessen und über 1989 gesprochen habe. Er war damals genauso auf der Straße gewesen wie ich auch. Ich denke, das Vorhaben hat ihn auch deshalb ein Stück weit berührt. Er meinte, so ein Projekt bräuchten wir. Bis zur Vorstandsvorlage im August und der Mittelfreigabe am 8. Dezember war es dann aber doch noch ein weiter Weg. Ich erhielt praktisch erst am 8. Dezember die Prokura, mit den einzelnen Fotografinnen und Fotografen Verträge abzuschließen,
am 3. April war aber schon die Eröffnung angesetzt. Ich muss gestehen, dass ich mich während der Finanzkrise schon gefragt habe: „Was passiert jetzt ? Hält
das Unternehmen Wort ?“ Aber dann siegte in mir die Zuversicht. Ich glaube, die eigentliche Entscheidung, die EAST-Sammlung um einen weiteren Schwerpunkt zu erweitern, ist damals, im März 2008, gefallen. Sich am Carte-Blanche-Projekt zu beteiligen, diese Entscheidung ist dagegen schon mindestens drei Jahre alt.

Barbara Steiner: Ich glaube mich zu erinnern, dass sie Mitte 2007 fiel.

Frank-Heinrich Müller: Die Entscheidung, sich an Carte Blanche zu beteiligen, hat auch zu dem Entschluss geführt, nicht nur sozusagen die Eintrittskarte zum Projekt zu zahlen, sondern noch etwas draufzulegen und einen neuen Sammlungsschwerpunkt für die VNG AG festzulegen. Damit konnte ein solches Archivprojekt, das ich mir immer gewünscht hatte, in einer überschaubaren Zeitspanne realisiert werden.

Barbara Steiner: Ich erinnere mich noch an die ersten Gespräche mit der VNG AG. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass man beides zeigen möchte: Fotografie und Zeichnung bzw. Malerei. Es ging um ein Öffentlich-Machen der Sammlung und der Aktivitäten des Unternehmens. Ich hatte ja zunächst nur für die Fotografie plädiert, weil mir dieses Konzept in sich bereits sehr umfangreich erschien. Jetzt bedaure ich nur, dass die Ausstellungsfläche nicht größer ist. Wir hätten eigentlich 2000 Quadratmeter gebraucht.

Ilina Koralova: Herr Wolff, können Sie bitte noch etwas dazu sagen, warum Sie sich für Carte Blanche entschieden haben.

Gerhardt Wolff: Ich finde die Idee sehr reizvoll und spannend, zu sagen, man stellt einen öffentlichen Raum zur Verfügung und die privaten Sammlerinnen und Sammler sind bereit, dort etwas zu zeigen, das durchaus auch eine Auseinandersetzung auslösen soll. Für mich ist dies eine sehr gute Konzeption ...
Es macht eben einen Unterschied, ob man unsere Sammlung nur in unserem Unternehmen sieht oder in einer Kunstinstitution.

Frank-Heinrich Müller: Die Wände in der GfZK sind sehr begehrt, hier möchten viele gerne ausstellen. Ich habe jedenfalls bei diesem Projekt zu spüren bekommen, was es auslöst, wenn man sagt: „Wir präsentieren in der GfZK, und es wird ein Buch bei Steidl erscheinen.“

Christiane Rink: Ich finde vor allem den Zeitpunkt überraschend reizvoll. Eine Ausstellung, die den Herbst 1989 fokussiert, im April zu zeigen, ist eigentlich der Vorläufer für all das, was im September, Oktober, November an Ausstellungen zu dieser Thematik noch kommen wird. Wir haben einen Trumpf in der Hand, nämlich mit die ersten zu sein, die dieses Thema aufgegriffen haben.

Frank-Heinrich Müller: Außergewöhnlich ist dabei auch, dass ein Privatunternehmen es überhaupt möglich macht, ein Projekt zu den historischen Ereignissen rund um 1989/90 zu realisieren. Carte Blanche macht diese Initiative öffentlich.




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EAST – for the record

Die Kunstsammlung der VNG – Verbundnetz Gas AG
Leipzig , vom 04–APR–2009 bis 07–JUN –2009, GfZK-2
Kuratiert von Frank-Heinrich Müller & Christine Rink
in Zusammenarbeit mit Barbara Steiner & Ilina Koralova

Nach der Ausstellung:

Barbara Steiner im Gespräch mit Frank-Heinrich Müller

BS: Inzwischen wurde die neue fotografische Sammlung der VNG – Verbundnetz Gas AG mehrfach gezeigt. Zurzeit kann man die Ausstellung im Museum der bildenden Künste sehen – also nur ein halbes Jahr später in derselben Stadt. Ist
dies nicht ungewöhnlich ?


FH M: Die Einladung ins Museum hat sich nach dem Abbau der Ausstellung im Juli unerwartet ergeben. Eigentlich suchten wir nach einem Ort mitten in Leipzig, an dem man das Buch EAST – for the record präsentieren kann. Schnell war auch klar, dass wir die Ausstellung nochmals zeigen würden. Denn die Chance, dass der 9. Oktober in den Zeitraum der Ausstellung fällt, wollten wir uns natürlich nicht entgehen lassen. Im nächsten Jahr wird sie auch als Miniaturausstellung durch 15 Städte gehen, darunter ist auch ein Auftritt auf der Buchmesse Leipzig vorgesehen. Mit den Ausstellungen an verschiedenen Orten wollen wir nochmals ein anderes Publikum erreichen, Schülerinnen und Schüler einladen, also in die Breite gehen, nicht nur das klassische Kunstpublikum ansprechen. Von der VNG AG wurde ich gebeten, die Ausstellung, die wir auch schon im Genscher-Haus in Halle verkleinert gezeigt haben, nochmals auf Reisen zu schicken.

BS: Was verstehst du unter einer verkleinerten Ausstellung ? Werden weniger Fotos gezeigt oder schrumpfen die Formate ?

FH M: Die große Ausführung braucht wegen der kalendarischen Anordnung eine Länge von 110 Metern für die Hängung der Fotos. Nach der Ausstellung in der GfZK wollte die Verbundnetz Gas AG die Ausstellung permanent auf 60 Metern für die Mitarbeiter in ihrem Haus installieren. Von heute auf morgen hieß es dann, wir werden diese Miniaturausstellung nicht in der VNG AG zeigen, sondern leihen sie dem Geburtshaus von Hans-Dietrich Genscher in Halle/Saale, das heute eine europäische Begegnungsstätte für die deutsche Einheit ist. So wurde es dann auch gemacht, und Hans-Dietrich Genscher hat die Ausstellung am 11. September
zusammen mit Guido Westerwelle eröffnet. Zu diesem Zeitpunkt war dann auch das Buch zur Ausstellung mit Genschers Geleitwort fertig.

BS: Aber wie muss ich mir eine Ausstellung auf 60 Metern vorstellen? Man kann doch eine Ausstellung nicht einfach verkleinern ! ?

FH M: Die Bilder wurden im Vorfeld für das Buchprojekt vom Steidl Verlag gescannt, und diese digitalen Daten haben wir dann nochmals ausbelichtet, also reproduziert. Die Fotos für die Ausstellung sind deshalb um einen bestimmten Faktor X kleiner als im Original und werden an die jeweiligen Räume angepasst. Dazu kommen Texte zu den Fotos, die man – in einem Leseheft gebunden – in die Ausstellung mitnehmen kann. Nun sind sie von der Fotoqualität in manchen Fällen sogar besser als das Original. Dennoch gibt es immer noch die Option, die größere Version der Ausstellung mit den Originalen zu zeigen.

BS: Das scheint ja eine regelrechte Erfolgsgeschichte zu sein. Wohin soll die Ausstellung nach ihrer Tour durch die 15 Städte gehen ?

FH M: Am liebsten würde ich die Ausstellung nach New York bringen.

BS: Hattest du keine Bedenken, die Fotos zu verkleinern?

FH M: Natürlich gehen bei vielen Fotografen sofort alle Alarmglocken an. Aber wenn man ein Foto in einem Buch 3.000 Mal abdruckt, wird die Veränderung im Format auf einmal akzeptiert.

BS: Wenn man ein Format vergrößert oder verkleinert, ändert man natürlich auch die Bedeutung einer Arbeit. Grundsätzlich gibt es ja immer einen Grund, weshalb eine Arbeit ein bestimmtes Format hat und kein anderes.

FH M: Ich habe diese Bedenken nicht. Solange ich nicht das Prinzip der Synchronopse verändere, also die fotografische Darstellung der Gleichzeitigkeit
von Ereignissen, bleibt das Ausstellungskonzept immer noch erhalten.

BS: Du bewertest das Ausstellungsprinzip höher als den einzelnen Beitrag ?

FH M: Ja, klar. Mit dem Buch wird das nochmals deutlicher: Das einzelne Bild ist Teil eines großen Ganzen. Es handelt sich um eine thematische Gruppenausstellung. Die Beteiligten haben einen Vertrag unterschrieben,
Geld bekommen. Die Arbeiten sind ja nicht einfach ausgeliehen. Sie wurden erworben. Ich frage mich, warum das Thema Reproduktion stets solch allergische
Reaktionen auslöst, zumal in der Fotografie, die ja ohnehin schon ein reproduktives
Medium ist. Die Verknappung auf das Original halte ich für eine geschickte
Erfindung des Kunstmarkts.

BS: Wenn man die Präsentation im Museum der bildenden Künste sieht, dann erweckt sie den Eindruck, als wäre die Architektur der GfZK mit der Ausstellung in
das andere Museum gewandert: Die Wandführung war bei uns so angelegt, dass
die Besucherinnen und Besucher permanent in einem Bewegungsfluss sind, man
wurde regelrecht weitergezogen. Dieses Moment findet sich jetzt auch im Museum.
Wie ist das neue Display für EAST – for the record entstanden ?

FH M: Das hat Thomas Wachter von der ecru AG in Zürich zusammen mit mir entworfen. Ursprünglich gab es einen Entwurf von einem Messebauer, der aber unbrauchbar war. Er hatte nicht verstanden, worum es geht. Man sollte die Ausstellung ablaufen können, die Richtung wechseln, sich drehen ... sich im übertragenen Sinn zwischen Vergangenheit und Zukunft bewegen. Diese Erfahrung habe ich von der Ausstellung in der GfZK mitgenommen. Der Unterschied ist allerdings, dass wir im Museum nur die Fotosammlung und nicht mehr die Malerei zeigen.

BS: Es ist schon ein Echo von uns, nennen wir es mal so, das im Museum der bildenden Künste zu spüren ist. Ich fand diese Interpretation zunächst befremdlich, weil es sich, abgesehen vom Bewegungsfluss, um eine sehr formalistische Annäherung an das neue Gebäude der GfZK von as-if berlinwien handelt.

FH M: Es soll ja nicht identisch sein. Aber ich habe überlegt, wie ich einen ähnlichen Bewegungsfluss generieren kann und wie wir das mit dem Museum zusammen technisch realisieren. Thomas Wachter hat das dann bis auf die Schraube ausgerechnet, und nun steht die Ausstellungsarchitektur da, inklusive einem soundtechnisch perfekt ausgestatteten Kinoraum. Mal sehen, wie das Publikum diese Ausstellung annimmt.

BS: War die Ausstellung bei uns eine Art Prototyp ? War es für die VNG AG ein Test,
wie die Ausstellung funktionieren würde, um daraus die nächsten Schritte abzuleiten ?

FH M: Für mich war es ein Test, für die VNG AG nicht.

BS: Aber die VNG AG wollte doch sicherlich auch wissen, wie die Ausstellung ankommt ?

FH M: Sie haben das Projekt in meine Hände gelegt. Die Ausstellung wurde weiterentwickelt, sie ist im Prinzip zu einem transportablen Produkt
geworden. Tom Unverzagt, der das Beschriftungskonzept für die Rahmen entwickelte, sagte übrigens zu mir, dass das ganze Projekt wie eine Stadt aufgebaut ist ...

BS: Meinte er die Zusammenarbeit der unterschiedlichen an EAST – for the record
Beteiligten? Da hattest du mehrfach betont, dass du der Auftraggeber bist und eine
gewisse Dienstleistung erwartest. Die Metapher von der Stadt klingt nun anders.

FH M: Du meinst sicherlich meine Zusammenarbeit mit den Gestaltern? Darauf
kann ich nur antworten: Ich erwarte eben eine bestimmte Art der Dienstleistung.
Die permanenten Fragen der Gestalter, warum diese Schrift neben den Bildern verwendet wird, eine andere auf der Einladung bzw. im Buch, und auch die ständigen Änderungen im grafischen Konzept der Ausstellung, all das hat die Abwicklung des Projekts meiner Meinung nach behindert. Es geht um den Besucher, der mir sagt, „ Herr Müller, das hat mich berührt“, nicht um grafische Details.

BS: Wenn wir in der GfZK mit den Gestaltern arbeiten, legen wir darauf Wert, verschiedene Faktoren konzeptuell und visuell zusammenzudenken.

FH M: Ich sehe das heute gelassener. Aber an unterschiedlichen Auffassungen und
Prioritäten soll eine Zusammenarbeit nicht scheitern, im Prinzip wird sie ja dadurch
eigentlich spannender. Da sind wir wieder bei diesem Kompliment von Tom, der
sagt, EAST – for the record sei wie eine Stadt, viele haben etwas dazu beigetragen.

BS: Hast du nach der Ausstellung mit jemandem von der VNG AG gesprochen, haben sich deren Vorstellungen erfüllt ?

FH M: Die VNG AG hat die Ausstellung natürlich als Bühne für ihr Unternehmen genutzt und dort Veranstaltungen durchgeführt, die auch das Thema
aufgegriffen haben. Das war im Übrigen auch die Intention des Vorstandsvorsitzenden Dr.-Ing. Klaus-Ewald Holst, gerade im Herbst 2009 in Leipzig damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Ich würde es deshalb als ein positives Grundrauschen bezeichnen. Das ist jetzt im Museum ähnlich. Da finden zahlreiche Veranstaltungen statt, um sich zu zeigen und mit dem eigenen Engagement präsent zu sein. Aber es ging nicht nur um eine öffentliche Darstellung des Unternehmens, man hat – als das Buch gedruckt war – allen Mitarbeitern
der VNG AG ein Exemplar geschenkt.

BS: Welche Rolle spielen deiner Meinung nach die Kunstinstitutionen ?

FH M: In dem ganz konkreten Fall der GfZK war es der Urauftritt. Da konnte man die Idee konkretisieren und entwickeln, denn natürlich war sie anfänglich nicht so komplex wie dann im Ergebnis. Es gibt aber auch interessante Nebeneffekte: Die beteiligten Künstlerinnen und Künstler geben den Ausstellungsort in ihren Biografien stets an, deren Galeristen verweisen in ihren Aussendungen wiederholt auf die jeweiligen Institutionen, das war bei euch genauso wie jetzt im Museum der bildenden Künste. Es scheint für die Künstlerinnen und Künstler viel wichtiger zu sein als für das Unternehmen, wo sie ausstellen. Da merke ich: Über solche Unternehmensinitiativen zu lästern ist das eine, aber sie dann doch für sich
zu nutzen, das andere.

BS: Das bestätigt einen Hauptkritikpunkt an Carte Blanche, dass nämlich die GfZK
die künstlerischen Positionen automatisch aufwertet. Interessant ist, dass offensichtlich die Künstlerinnen und Künstler selbst unmittelbaren Nutzen daraus ziehen, Hand in Hand mit dem Unternehmen, wenn man so will.

FH M: Aber das würden sie nicht zugeben. Und wenn manch einer nun seinen nächsten Lebenslauf schreibt, dann wird das Buch bei Steidl, dann werden die Ausstellungen in der GfZK und im MdbK angeführt. Deshalb muss man das Engagement des Unternehmens viel breiter sehen, anstatt es auf Imagepolitik zu reduzieren. Am Ende hat die VNG AG der Stadt, bleibt man bei Toms Metapher, ein Dach gegeben und den Künstlerinnen und Künstlern einen öffentlichen Auftritt.