Das schnell anziehende Malmittel als Leistungspeitsche

Ausschnitte aus der Diskussion mit Prof. Werner Tübke
in der Evangelischen Akademie Loccum (24.01.1992)

Detlef Hoffmann (Diskussionsleitung): Um dem Gespräch eine gewisse Struktur zu geben, würde ich vorschlagen, daß wir an die Dinge anknüpfen, die Herr Tübke auch zum Entstehungsprozeß und zu dem mehr technisch-handwerklichen Bereich gesagt hat.

Hermann K. Ehmer: Herr Tübke, ich hatte bei Ihrem Vortrag den Eindruck, daß Sie ganz besonderen Wert auf die Altertümlichkeit bestimmter technischer Lösungen legen, als Grundierung zum Beispiel den Gips. Will man denn, wenn man heute malt, die Restauratoren wissentlich und willentlich genauso weiterbeschäftigen, wie das mit alten Bildern geschieht? Man darf doch annehmen, daß bestimmte neue Grundierungen mit Abstand haltbarer sind und daß die Alten diese genommen hätten, so sie sie gehabt hätten. Mich würde zweitens interessieren, wie macht man das physisch, wie haben Sie das erfahren?

Werner Tübke: Zur ersten Frage: Wichtiger als die Stoffe, die Materialien, die man verwendet, ist die handwerklich richtige Verwendung derselben, viel wichtiger als die Füllmittel usw. Ich habe das so gemacht, wie immer im Laufe von vierzig Arbeitsjahren. Ich komme mit den alten Gründen hervorragend hin, also verschiedene Schichten übereinander, von mager zu halbfett oder gar nicht fett. Und ich habe das gemacht, weil ich daran gewöhnt bin. Es gab bestimmte Konditionen, eine große Leinwand, die mußte ich beachten, da ist nichts Geheimnisvolles dahinter. Ich mußte nur ein Malmittel haben, was sehr schnell anzieht, als zusätzliche Leistungspeitsche mir selbst gegenüber. Also da gibt es kein Rauchen oder Kaffeetrinken. Der zu malende Schädel muß in zwanzig Minuten fertig werden, was auch immer ringsrum geschieht, sonst zieht die Farbe an, und dann ist Schluß. Mehr Fett heißt Glanz, also wenig Fett, z.B. Fertigwerden. In zwei Stunden muß eben der Oberkörper fertig sein. Ich konnte mir keine Korrektur erlauben.
Die andere Frage ist sehr persönlich. Ich will es trotzdem versuchsweise volkstümlich machen. Wenn das Panorama am Rand von Leipzig wäre, wäre das nicht gegangen, denn dann wäre die ›Skatrunde‹ abends dagewesen usw. Das heißt also, durch den Zufall ist es eben sehr weit von Leipzig weggewesen, und ich war dort in diesen vier Jahren völlig isoliert, habe das Risiko einer örtlichen Trennung von meiner Frau und von der Familie auf mich genommen. Sie ist nicht mit nach Frankenhausen gekommen. Wir hatten vier Jahre eine Telefonehe gehabt. Abends eine Viertelstunde Telefon, und das war‘s dann. Und wie gesagt, am Stadtrand von Leipzig oder in Leipzig wird abends mal ein Glas Wein getrunken, dann kommt man morgens um, einhalb fünf oder fünf, wie ich raus mußte, nicht raus, und das wäre nicht gegangen. Das war eine Voraussetzung, einc böse und sehr schwierige auch. Meine Frau hat den Geschäftsbetrieb und das Haus weitergeführt. – Ansonsten äußerste Disziplin. Von Frankenhausen habe ich morgens eigentlich nie was gesehen, ich bin um dreiviertel sechs durch den Ort gefahren, und dann hoch und abends wieder runter. Und habe ganz regelmäßig wie immer, bloß noch zugespitzter gearbeitet: Mittagspause 20 Minuten, einschließlich Mittagsschlaf mit ›autogenem Training‹, und dann abends langgezogen und am Tag eben wie ein ganz normaler Schwerarbeiter auf das Gerüst hoch und runter, hoch und runter. – Die größte Gefahr war ungefähr im letzten halben Jahr. Ich hatte Angst, daß ich morgens mal aufwache und absolut ohne Grund sage: mich interessiert es nicht mehr. Wenn Sie mich irgendwie verstehen. Es bricht etwas weg, ohne Erklärung. ›Ich gehe da nie wieder hoch.‹
Als Konsequenz daraus habe ich dann die Wochenenden drangehängt, also wurde es fertig. Es war eine böse, auch eine verrückte Zeit, ständig Radio gehört, so einen uralten Mittel-Super, Hessen 1, 2,3. Wenn Musik kommt, regt mich das auf. Zur Musik habe ich ein sehr gebrochenes Verhältnis jeder Coleur. Aber wenn Texte kamen, höre ich aktiv zu, und nebenbei male ich dann. Über das Malen denke ich nicht nach, das läuft automatisch. Man macht das ja auch nun schon vierzig Jahre.
Einmal kamen in einem Jahr bloß 250 Quadratmeter raus, also ganz »faul«. Grund war Sehnenriß des rechten Daumens wegen Überanstrengung. Sie mußte erst von einem ganz hervorragenden Arzt in Grimma wieder genäht werden. Er ist jetzt emeritiert, ein Arzt, der schon das halbe Gewandhaus-Orchester unter dem Messer gehabt hat, einen besseren gibt es nicht.

Hoffmann: Bei meinen Aufenthalten in der DDR hatte ich immer den Eindruck, daß alles viel stiller als bei uns im Westen ist. Die Ablenkung war nicht groß, man hatte viel mehr Zeit für Gespräche. Dieser Silo in Frankenhausen schließt in der Stille der DDR noch einmal einen stilleren Raum ein. In diesem stillen Land verschenkte man vielleicht nicht soviel, wenn man sich zehn Jahre ins selbstverordnete Joch begibt. Während hier: da klingelt der Galerist, dann klingelt der, dann muß man dahin usw.

Tübke: Bei mir klingelte gar nichts, damals, nein. Die Situation war fast exterritorial. Es gibt im Leben auch positive Zufälle. Ich möchte sie einmal im Nachhinein aufzählen, und zwar beschreibe ich nur gewesene Wirklichkeit. Wäre die ganze Sache zehn Jahre später gekommen, ich hätte sie körperlich nicht mehr geschafft. Wäre sie zehn Jahre eher gekommen, hätte ich nicht genügend Kunsterfahrung gehabt. Und der Auftrag, die Idee, kam ja Anfang der siebziger Jahre, als man wirtschaftlich noch etwas »großkotzig« war, in einer Zeit, wo noch mancher Bürger sagte, es geht aufwärts, es wird besser. Ehemalige DDR-Bürger werden das noch wissen. Dann klang das ab. Aber damals war die Wirtschaft vermutlich noch so. Sie war es längst nicht mehr in der Interpretation derer, die drin waren. Sie haben gesagt: »Das Panorama machen wir. Wir sind die Größten, wir können uns das erlauben.« – Die Idee und die Realisierung der Auftragsübernahme kamen 1976. Das ist das erste. Das zweite war, daß der Auftrag zustande kam. Das dritte: Kulturminister Hoffmann ließ mich meine Arbeit machen, so wie ich es wollte. Er fragte bestenfalls, darf ich mal zu Besuch kommen, mehr nicht.
Wahrscheinlich war der Grund für die ganze großkotzige Sache, daß man sich sagte: Wir nehmen den [T.] jetzt so, wie er ist. Mit dem können wir nach außen glänzen. – Das wurde letzten Endes politisch vielleicht anders formuliert, aber das wird das letzte Motiv für die ganze Sache gewesen sein. Warum sollte man das sonst machen? Mir fällt nichts weiter ein. Und die Umdrehung, die Verwandlung der ehemaligen Konzeption in meine Konzeption war auch mühelos vonstatten gegangen. Es hat ein Dreivierteljahr gedauert, und dann habe ich 1976 unterschrieben, nachdem im Vertrag drinstand, daß dem Maler die künstlerische Realisierung überlassen bleibt. Ich hatte alle Unterstützung. Ich konnte, wenn ich so einen halben Zentner Cadmium rot-dunkel brauchte, anrufen, dann kam es. Über sowas darf man nicht nachdenken. Man muß aus der Fülle heraus mit dem Material umgehen, wie es notwendig ist. Man macht ja nicht mehr als man unbedingt braucht. –
Die heutige langsame Verwandlung der Exegese von selten der Öffentlichkeit fasziniert mich natürlich.
Wir sprachen vorhin darüber, was für ein Wissen vom Betrachter eingebracht wird. Etwa, ob einer bibelfest ist, wer ist das schon? Ich bin es jedenfalls nicht, obgleich mich das alles sehr interessiert.
Ich glaube, wenn man eine Erklärung historischer Art oder von der Fabel her bereit hat: Ich glaube nicht, das man dann einen tieferen Einblick in die bildende Kunst hat.

Hoffmann: Da kommen wir gleich nochmal drauf zurück. Ich habe es so verstanden, daß Sie auch schon im Gespräch waren, als ein richtiges Panorama geplant war. Da wollte man Sie als Kulissenmaler sozusagen für die Hintergründe im Panorama haben?

Tübke: Das Wort Kulissenmaler haben Sie jetzt gebraucht.

Hoffmann: Ich meine, in einem Panorama steht man in der Mitte auf einer Plattform, und weiß nicht, wo man steht. Dann kommt Sand, Figuren stehen da, nach hinten werden sie immer kleiner, und den Fernblick bildet dann die Malerei. Allerdings sollte der Übergang nicht sichtbar sein.

Tübke: Ich glaube, so differenziert hat man gar nicht gedacht. Diese Panoramen klassischer Art sind ja auch zum Teil sehr beeindruckend.

Hoffmann: Sollten Sie auch Gestalter dieses dreidimensionalen Panoramas sein? Die Gespräche wurden doch von Anfang an mit Ihnen bis zu der heutigen Fassung geführt, bis Sie das Konzept durchgesetzt hatten, das zur heutigen Realisierung geführt hat.

Tübke: Vertraglich gesehen, lief es letztlich darauf hinaus, daß ich ein Bild male. – Es war vor mir kein Kollege da, der sich auf diese Arbeit eingelassen hat. Eine große Schwierigkeit war noch die Auftragsübernahme oder Nicht-Übernahme: Dort ein Bild, du bist vom Markt weg, keine Einzelausstellungen, nichts oder fast nichts nebenbei. In den ersten zwei Jahren habe ich abends noch Druckgrafik gemacht, um die Kundschaft bei Laune zu halten. Dann war das auch nicht mehr möglich. Keine 300 Bilder oder 400 Bilder oder 200 Bilder, die sonst entstanden wären. Es war sehr schwierig für mich.
Ein Bild anstatt vieler Bilder. Ich glaube, die Kollegen rieten mir: Laß das sein!

Wilhelm Ehlers: Sie waren lange Zeit Maler und Lehrer und kannten also Ihre Schüler. Woran ist es letztlich gescheitert, Ihre ehemaligen Schüler mit in die Arbeit einzubeziehen?

Tübke: Ich sagte schon: Am Anfang stand der Gedanke »Bauhütte«. Wenn der nicht dagewesen wäre, hätte ich den Auftrag nicht übernommen. Daß die »Bauhütte« gescheitert ist, hatte ich schon gesagt. Es wurde dann besser, weil ich es weitgehend alleine gemacht habe. Warum? Wenn Sie an meiner Stelle Tag für Tag die Arbeit der jüngeren Kollegen sehen und Sie finden sie hervorragend. Sie sagen aber auch, daß alles immer noch etwas besser ginge. Das ist unerträglich. Ich könnte nicht drei, vier Jahre nach der Fertigstellung sagen: aber der Kollege war doch so nett. Allerdings war es menschlich sehr schwer, diese Abnabelung zu vollziehen. Es war notwendig: Einen Kollegen habe ich behalten, auch damit es nicht so einsam ist da oben. Das war ein sehr guter Mann.

Ulrike Krenzlin: Was mich jetzt ganz brennend interessiert, ist die Auftragsgeschichte, die müßte man zum Werk dazu setzen, denn DDR-Kunsthistoriker haben darüber ganz wenig gesagt. Ich denke, daß da im ehem. Ministerium für Kultur der DDR und wohl noch an anderer Stelle eine ganz große Akte gewesen ist.

Tübke: Ich habe meine Akte beantragt.

Krenzlin: Daß diese Akte eventuell vernichtet worden ist. Herr Dr. Arlt (Ministerium für Kultur, Abt. Bildende Kunst) hat bei der Amtsaufgabe massenhaft Akten vernichten lassen. Ich habe diese leeren Aktenordner auf den Gängen gesehen. Und jetzt mal angenommen, die nächste Generation würde sich für diese etwa zwölfjährige absolut singuläre Auftragsgeschichte interessieren, könnte man dann zu Ihnen kommen und sagen, Herr Tübke, würden Sie Ihre Akten zeigen oder kann man das nicht mehr aufarbeiten?

Tübke: Sie haben einen Namen eben genannt, das hätten Sie nicht machen sollen. Und dabei bleibt es jetzt auch. Der Herr Dr. Donner war der qualifizierte Bote, negativ gesagt – oder der Überbringer.
Ja, ja, da wird einiges nicht mehr ganz in Ordnung sein. Aber wir, meine Frau und ich, haben die Akteneinsicht beantragt, wie gesagt. Normalerweise müßte das möglich sein. Ich hatte von Anfang an gute Kontakte zur Ständigen Vertretung der Bundesrepublik in der DDR. Das hängt damit zusammen, ich bin bei Günther Gaus und anderen in der Hannoverschen Straße (ehem. Ständige Vertretung der BRD in der DDR) in Berlin ein- und ausgegangen, auch mit dem Volvo reingefahren. Diesbezüglich wird es sicher viel Aktenmaterial über mich geben. Bei uns aber ist die Korrespondenz bezüglich Panorama mit den Berliner Dienststellen vollständig vorhanden.

Eduard Beaucamp: Ich möchte darauf hinweisen, daß mit dem Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg, das ja Künstlernachlässe, wie Marbach Dichternachlässe, sammelt, Verhandlungen geführt werden. Das gesamte Material wird einmal in dem Museum sein.

Teilnehmerin: Was kostet so etwas? Vier Jahre Arbeit.

Tübke: Die Frage kann ich jetzt nicht beantworten. Wenn Sie nach meinem Salär fragen, würde ich sagen, das geht Sie nichts an.

Zwischenbemerkung: Das sind doch öffentliche Gelder.

Tübke: Die wären nicht in den Wohnungsbau geflossen, wenn Sie das vielleicht meinen.

Hoffmann: Gibt es denn eine Summe, mit der die Kosten beziffert werden? Was kostete das den Staat?

Tübke: Kunst kann gar nicht teuer genug sein.

Beaucamp: In den Zeitungsarchiven kursieren Zahlen 30 oder 40 Millionen Mark.

Teilnehmerin: Ich habe hier eine Mitteilung, da steht der Preis drin: 51,5 Mio Mark.

Tübke: Das kann niemand ausrechnen.

Zwischenbemerkung: Das nehmen wir so zur Kenntnis. Das ist sowieso weit von unserer Lebenswelt entfernt.

Teilnehmer: Herr Tübke, wenn Sie vier Jahre lang nur an dem Panorama gearbeitet haben und keine Grafik machen konnten, dann nehme ich einmal an, daß Sie sehr gut bezahlt worden sein müssen. Aber, wie steht es nach der Vereinigung mit den Wiederverwertungsrechten an dem Panorama. Wem gehört es?

Tübke: Die Rechte liegen bei mir, die Autorenrechte, das Veröffentlichungsrecht.

Ingeborg Kreusch: Wie ist das gelaufen? Ist das Haus erst gebaut worden und hat man dann den Künstler geholt oder hat man einen Künstler gehabt und das Haus nach seinem Entwurf gebaut?

Ich habe es fast so verstanden, daß das Haus fertig war und Sie dann erst kamen.

Tübke: Ich habe die Bauzeichnungen sehen können und mit Interesse drauf geguckt und gesagt: Schön groß und rund, ich verstehe davon nichts. Während ich also Szenen (also die 1:10-Fassung) gemalt habe in Leipzig, ist das »Ding« gebaut worden. Und als ich vor Ort anfing, war es in einem desolatem Zustand. Da lief einundeinhalben Meter hinter meinem Bild das Kondenswasser runter. Also mußte nachgerüstet werden. – Da habe ich einen Fehler gemacht: Gleich nach der Wende fand im Gewandhaus mit Kurt Masur und anderen ein Podiumsgespräch statt. Da hat einer gesagt, Sie, Prof. Tübke, haben öffentlich gesagt, daß die Bauarbeiter Pfusch gemacht haben. Und wir, die Bauarbeiter, verbitten uns das usw.
Da wurde etwas verwechselt. Pfusch habe ich gemeint, und es war auch Pfusch, sonst hätte nicht zwei Jahre nachgearbeitet werden müssen, damit der Bau in guten Zustand kam.
Die Bauhandwerker aus Merseburg, die nachgerüstet haben, dachten, sie wären mit dem Pfusch gemeint – waren es aber nicht. Nun ja.
Es hat ein halbes Jahr Theater in der Presse gegeben. Ganz schwer wieder zu reparieren, die Sache. Es liegt zurück.

Klaus Winter: Meine Frage zielte in die gleiche Richtung. Der Tempel war also zuerst da. Bedeutete das, daß sich die Auftraggeber von vornherein darüber klar waren, wie groß dieses Gemälde werden sollte, mußten sie sich danach richten?

Tübke: Es gibt ja ein paar Standardmaße für das Panorama, 41,5 m Durchmesser innen beispielsweise, das ist ein klassisches Maß. Die Standards verstehen sich aber eben ohne Versatzstücke, ohne den Turm in der Mitte usw. Das habe ich nicht übernommen.

Teilnehmerin: Bis jetzt wurde nun wirklich über die Vergangenheit gesprochen, also über das, was gewesen ist. Ich bin selbst aus der ehemaligen DDR, wohne auch unmittelbar in der Nähe von Bad Frankenhausen und komme dadurch auch öfter mal hin. Und erstaunlich war eben, daß früher diese Vorführungen stündlich waren und daß wirklich versierte Führer da sind. Es steht jetzt das große Fragezeichen, kann es bestehen bleiben. Kommen die Gelder weiter rein, die dafür notwendig sind. Es wäre ja furchtbar, wenn das jetzt geschlossen werden müßte, weil einfach keine Mittel da sind.

Tübke: Nein, da bin ich absolut optimistisch. Vor der Wende waren dort gegen meinen Willen 68 oder 69 Mitarbeiter tätig. Meine Frau hat versucht – sie ist eine sehr resolute Rechtsanwältin gewesen – wir haben versucht, das zu minimieren, weil es von Anfang an Wahnsinn war, dort so viele Leute anzustellen. Und heute sind es, glaube ich, 27 oder 28, auch das ist noch zuviel. Das ist die eine Seite. Aber in Thüringen ist das Panorama das Museum, das am meisten besucht wird, was das meiste Geld bringt. Wir haben täglich im Schnitt 700 bis 800 Besucher, und 10 Mark ist für jetzige Verhältnisse sehr viel Geld. Und an Wochenenden kommen bisweilen etwa tausend Besucher täglich. Man kann es ja ausrechnen, daß auch sehr viel Geld wieder reinkommt. Das Management, die Öffentlichkeitsarbeit müssen verbessert werden. Der juristische Status, ob es eine GmbH oder was weiß ich wird, steht noch aus. Aber da müssen wir gar nicht so eilig sein. Also ich habe keine Angst. Anfang 1990 sah es etwas böser als jetzt aus.

Hoffmann: Kommen wir zum Inhaltlichen

Teilnehmer: Welche Rolle spielt der Narr?

Tübke: Ja, das ist eine Frage, die mich jetzt nicht zum Nachdenken reizt, weil sie sehr oft kommt. Ich kann sie nie beantworten. Herr Beaucamp kann das immer wunderschön. Als Maler kann man das nicht sagen. »Außenseiter« – ich habe mich halt immer für diese Dinge interessiert.

Beaucamp: Ich bin ja nicht der Schöpfer dessen. Aber es sind auffallend viele Narren. Innerhalb des Panoramas selber gibt es nicht nur helle und dunkle Welten, sondern auch Tragödien und Komödien usw. Es sind auch Selbstentlastungen durch die Narren, Gaukler, Harlekine. Sie spielen aber auch sonst in anderen Werken Tübkes eine immense Rolle. Ich habe darin eine Selbstdarstellung des Künstlers gesehen. Als Westler habe ich auch meine Schwierigkeiten, wie man sich in der DDR zurechtfand, wie man das, was man täglich tat, vor sich selbst legitimierte. Und ich muß sagen, Tübke hat ein völlig einsichtiges, für mich transparentes Weltbild. Tatsächlich ist die ganze Geschichte voller Zwänge, sie ist ein einziges Theater. Es ist alles labil. Es wird an langen Drähten und Fäden gezogen, kein Mensch ist frei und die Welt ist schräg, und der Harlekin ist überall da. Die Vieldeutigkeit, die in der DDR eine immense Rolle spielte, stellt sich hier so dar, daß man nur die Narrenkappe überziehen konnte, weil sowieso alles Wahnsinn und alles voller Gewalt ist.

Irmgard Scharmann: Für wen ist das Bild gemalt?

Tübke: Da gibt es von mir aus drei Antworten. Die erste ist im Grunde die einzige Position, die man als Maler haben kann. Der Tischler baut seinen Tisch gerne und ich male halt gerne. – Es wäre auch Wahnsinn, wenn ich bloß wegen eines etwas größeren Bildes mein Formklima änderte. Dazu gibt es doch gar keinen Grund. Die kleinen Bilder sehen genauso aus wie die größeren. Und das Thema ist vorgegeben. Und für wen? Na ja, für die interessierten Leute. Ich denke gar nicht so sehr an Betrachter, daran, wie der Rezipient reagieren wird – optische Magie schon, aber inhaltlich, das ist meine Sache. Völlig meine Sache.

Zwischenbemerkung: Obwohl Sie es verweigert haben, das Bild inhaltlich zu erklären.

Tübke: Ich kann das gar nicht. Ich werde versuchen, bildende Kunst zu mißbrauchen zur Gehirnwäsche (oder zur Bildungsanreicherung), das wäre dumm.

Teilnehmer: Ich habe eine Frage zu einem Bildausschnitt, und zwar zu dem Ei in dem Bild. Was hat es damit auf sich?

Tübke: Das wissen alle besser. Ich hatte das Bedürfnis, weiß vor weiß zu malen. Das ist der ganze Grund für das Ei. Ein weißes Ei im Schnee. Und da die Stelle dort bedeutungsvoll ist, wird sie wunderbar interpretiert. Das finde ich ganz phantastisch. Ein Ei ist absoluter als der Kreis, natürlich, organischer.

Teilnehmer: Eine Rückfrage, haben Sie an Ihre Zuschauer gar nicht gedacht? Diese farbigen Bilder und die Realität in der DDR.

Tübke: Selbstkritisch gesagt: Das stimmt und das stimmt nicht. Beim Arbeiten denke ich nur, wie machen wir es am besten. Dann kommt wieder eine Stimmung mit ‚rein. Wenn man dort reinkommt in einer Entfernung von 30 Metern, wie muß das jetzt wirken, wie stark muß der Farbauftrag sein und wie groß, und wie willst du sie einstimmen. Also beides ist da. Das kann ich nicht trennen. Natürlich muß man der Regisseur sein, daß die richtige Proportionalität hineineinkommt. Wie groß müssen wir das machen, wie klein müssen wir das machen, immer bezogen auf den Betrachter. Aber inhaltlich, im Grunde ist das Ganze ja eine Erfindung. Eine Erfindung ist ja nicht ablesbar wie bestimmte historische Prozesse. Die vielen grundsätzlichen Themen, die im menschlichen Leben vorkommen, bleiben konstant – wenn man zu den Müttern, dem Alten Testament, zurückgeht. Da ist der Grad der Verallgemeinerung sehr hoch. Das hat auch mit den politischen Veränderungen in Deutschland gar nichts zu tun. Es gibt Grundprobleme der Menschen, die haben 1989 die gleiche Bedeutung wie im Jahr 99 n.Chr.

Teilnehmerin: Ich halte es für problematisch, das ganze Werk aus dem gesellschaftlichen Kontext herauszuziehen und es einfach in den individuellen, phantastischen Bereich hineinzupacken. Um die Wirkungsgeschichte etwas zu konkretisieren, würde ich gerne einen Absatz aus dem Diskussionsbeitrag von Werner Tübke zitieren, den dieser auf der dritten Tagung des Zentralvorstands des VdK (Verbandes bildender Künstler) DDR von 1979 gehalten hat. [Autorisiertes Stenogramm, in: Bildende Kunst 1980, Heft 1, S. 5-7; U. K.] Tübke beruft sich da auf Peter H. Feist, der so diskutiert hat: »Es gehört zu den bemerkenswertesten persönlichkeitsbildenden Funktionen der Kunst im Sozialismus, daß sie den Menschen aktiviert und mithilft, jene schöpferischen Kräfte freizulegen, die ihn befähigen und beflügeln, bewußt revolutionär verändernd in die Wirklichkeit einzugreifen.« Tübke fährt fort: »In der Tat, das ist eine ganz wichtige Seite. Das können auch Werke sein, die mit historischen Stoffen nicht das geringste zu tun haben. Dennoch, für das sich ständig akkumulierende Selbstverständnis unseres Staates – auch angesichts der konkreten ideologischen und geographischen Grenzsituationen – ist die historische Aufarbeitung der Geschichte ein nicht zu unterschätzender stabilisierender Faktor, außerdem ist sie erklärtes Programm.«

Tübke: Ja, da fällt mir nichts dazu ein, was soll ich dazu sagen. Wollen Sie mich aufs Kreuz legen, das schaffen Sie nicht.

Hoffmann: Das ist, glaube ich, nicht die Absicht. Es könnte auch unter der Narrenkappe gesprochen sein.

Bernhard Schulz: Herr Tübke, die Einweihung des Monumentes war im September 1989 ein großer Staatsakt. Der tat dann gebührend mit zwei Seiten im »Neuen Deutschland« gewürdigt worden. Sie haben die Herrschaften zur Eröffnung herumgeführt, ich glaube, Willy Stoph, Kurt Hager, Herrn Sindermann. Was haben Sie gedacht, als Sie die herumgeführt haben? Können Sie sich noch entsinnen, was Sie denen zu dem Bild gesagt haben?

Tübke: Die ganze Sache war makaber. Es war praktisch 14 Tage vor Schluß.
Dem Auftraggeber, der im Laufe von vielen Jahren und Jahrzehnten etwas investiert hat, muß man zubilligen, daß er zum Schluß seinen Spaß haben will.
Es war von vornherein klar, daß diese Übergabe auf hoher Ebene vor sich gehen wird. Auf dem Marktplatz von Frankenhausen war es schon eine hochmerkwürdige Atmosphäre.
Die Namen, die Sie genannt haben, waren anwesend soviel ich noch weiß, Honecker nicht. Die Sache mußte durchgestanden werden.
Und im Bildsaal ging das eigentlich relativ sang- und klanglos, höflich und freundlich, rein und wieder raus.

Beaucamp: Das ist eine Situation, die man nie vergißt. Es war eine Wahnsinnssituation, die ich miterlebt habe, weil ich damals von der Zeitung zur Eröffnung gefahren bin.
Unten auf dem Marktplatz war eine Müntzer-Manifestation und in der Tat mit all den Stasi-Leuten. Das erzählte auch die Bevölkerung. Ich war natürlich unten unter dem Volk und die erzählten: Dort oben ist alles voll, alle in Blue Jeans. Ich hatte keine Ahnung, sie waren also wirklich getarnt als Jugendliche, und da waren ganze FDJ-Kompanien als Claqueure aufgeboten. Wir standen auch im Hintergrund. Die haben sich nur totgelacht, haben zwar immer geklatscht, aber dabei gejuchzt. Und ich fragte die Leute, dürft ihr das denn hier, da sitzen doch die Obersten. Es war eine ganz makabre Situation. Das vergesse ich nie. Ich bin dann in den Westen zurück und sagte, das dauert nicht mehr lange. Da drüben kracht es im Gebälk. Herr Hager, der ja sonst immer ziemlich die Peitsche schwang, machte dem Publikum gegenüber geradezu beschwörende Worte. Damals liefen die Leute nach Ungarn weg. Hager berief sich auf Kohl, daß er sie doch nicht im Stich lassen könne, daß er doch zu den Verträgen stehen müsse. Und es hörte sich an, als ob man ein sinkendes Schiff nochmal verbal retten wollte.

Teilnehmer: Das Zusammentreffen des Unterganges der DDR und der Einweihung des Bildes kann man dem Bilde doch nicht positiv zuschlagen. Die Ausgangsfrage war nach der Entstehungs- und der Auftragsgeschichte. Das ist etwas, das in eine Zeit zurückreicht, als die DDR noch glaubte und die Bevölkerung auch, es gehe aufwärts. Eben hörte es sich so an, als ob das ganze Bild metaphorisch auf den Untergang der DDR zugemalt worden sei.

Hoffmann: Man ist ja auch immer dankbar, wenn sich die Wirklichkeit bis zur Kenntlichkeit entstellt.

Beaucamp: Ich weiß nicht, warum die altmeisterliche Malweise hier einem Staatsstil zugeschrieben wird. Das Gegenteil ist wahr, Die DDR wollte einen aktionistischen, öffentlichen Stil, diese Altmeisterei wollte sie nicht. Ich habe in den sechziger Jahren Herrn Tübke in seinem Atelier erlebt, er bat mich, seinen Namen nicht im Westen zu erwähnen. Es gab einige Künstler, die sich den Rückzug ins Altmeisterliche sicherten, um dort viel komplexere Weltbilder und Geschichtsbilder entwickeln zu können. Das geschah keinesfalls im Einklang mit der DDR. Erst hat ein italienischer Händler in Italien eine Ausstellung arrangiert, dann kam die Presse, dann kaufte Herr Ludwig die Bilder. Danach erst überlegte sich die DDR – das war dann allerdings sehr spät –, daß man damit offenbar Staat machen könne. Dann wurden diese Bilder plötzlich an die Brust genommen.

Teilnehmer: Ich denke, daß die künftige Geschichte des Bildes mindestens so interessant ist wie seine Vorgeschichte. Wie weit kommen das Selbstverständnis des Autors Tübke und die Intentionen der Historiker und Kunsthistoriker miteinander zurecht? Wie sieht denn konkret der Zugriff, vielleicht zugespitzt gesagt, die Legitimität des Zugriffs der Geschichte und der Kunstgeschichte auf dieses Bild aus?

Tübke: In den 50er Jahren war es entsetzlich kompliziert. Ich gehe damit bloß nicht hausieren. Ich bin auch 1957 wegen Westkunst und Surrealismus entlassen von der Hochschule und dann später wieder zurückgeholt worden: Meine Bilder wurden abgehängt. Das ging aber vielen so. Das heute, plötzlich, nach so vielen Jahrzehnten, wieder auf den Tisch zu legen, ich finde, gehört sich nicht. Die sechziger Jahre waren auch sehr kompliziert. Ich habe erst etwa seit 1969/70 weitgehend Ruhe gehabt. Das mit den Galeristen in Oberitalien und Frankreich wurde angedeutet. Da sagte man zu Hause, an dem muß was dran sein. Aber schwierig ist es immer noch geblieben. Aber es gab keinen Grund, irgendeine Zeichnung oder ein Bild nicht so zu machen, wie ich das für richtig gehalten habe. Ich stehe absolut hinter diesen Arbeiten. Warum denn eigentlich auch nicht.

Friedrich Winterhager: Ich möchte etwas zum Begriff der frühbürgerlichen Revolution sagen. Es war ja so, daß 1962 in der ehemaligen DDR die Konzeption von der frühbürgerlichen Revolution aufgestellt wurde, gerade von einer Leipziger Schule um Max Steinmetz, Siegfried Hoyer und dann schlossen sich Manfred Bensing und Günter Vogler und andere an. Und es gab Widerspruch sowohl in der DDR wie auch in der Sowjetunion gegen diese These, aber sie wurde dann von Kurt Hager und anderen sanktioniert. Sie besagt in der kanonischen Form aus dem Jahre 1962 von Siegfried Meuse: Reformation, Bauernkrieg und die Fuggerzeit bilden eine Einheit, nämlich die frühbürgerliche Revolution in Deutschland. Bürgerlich deswegen, weil die herrschende Kraft der Hegemonen bürgerlich war, früh, weil ihre Formen noch nicht ausgebildet waren. Wissenschaftlich war es nicht möglich, dies durch Einzeluntersuchungen völlig zu belegen. Es gab schöne Bildbände zur frühbürgerlichen Revolution. Aber trotzdem brachte das die These nicht genügend unter die Massen. Die These mußte überhöht werden. Das sagt nichts gegen Herrn Tübke, es erklärt nur, warum diese vielen Gelder zur Verfügung gestellt worden sind. Der Künstler sollte aus seinem Freiraum heraus etwas Schönes malen. Das erklärt auch, warum Sie Ihren Freiraum hatten. Aber daß die DDR Ihnen das viele Geld gegeben hat, und wohl so ca. 1970 an dieses Projekt ging, das beruht auf dieser These von der frühbürgerlichen Revolution und den Schwierigkeiten mit ihrer Verbreitung.

Tübke: Das ist ja alles ganz fürchterlich. Das muß ein schwerer Beruf sein.

Zwischenbemerkung: Warum sollen Sie als einziger einen schweren Beruf haben?

Tübke: Ich mache eigentlich so Jahrzehnt um Jahrzehnt immer dasselbe. Und mal hat es in die Gegend reingepaßt und mal gab es Dresche. Das ist eigentlich nicht wichtig. Und ich werde auch in Zukunft nichts anderes und nichts sogenanntes Neues machen. Ich habe mit zehn Jahren Privatunterricht gehabt im Zeichnen, und ab dem 14. Jahr etwas besser gezeichnet. Die Sache ist schon etwas besser geworden und wenn ich Glück babe, halte ich es durch. Und wenn man dann im Laufe des Arbeitslebens mal vereinnahmt wird, das interessiert mich sehr, das finde ich schick und nett und freundlich oder böse, aber es hat mit der Produktion überhaupt nichts zu tun.

Krenzlin: Was haben Sie, Herr Tübke, 1956 hei der Graphik-Serie gegen die ungarische Revolution gedacht?

Beaucamp: Zu dem heikelsten Punkt, den Frau Krenzlin da angesprochen hat: Man sollte das Werk auf keinen Fall enthistorisieren und entpolitisieren. Natürlich gibt es alle diese Zyklen.
Ich versuche auch, mir nun einen Reim drauf zu machen. Vielleicht ist der Zyklus zur Konterrevolution in Ungarn der Anstößigste. Aber auch er verschiebt das Thema sofort ins Christliche, es geht immer auf eine anthropologische Ebene über. Das scheint mir wichtig, daß sich das Thema vom sozialistischen ins christliche verschiebt, um dann – und das ist bei Tübke immer so – auf eine anthropologische Ebene überzugehen.

Hoffmann: Ich danke Herrn Tübke und Herrn Beaucamp ganz herzlich.

(Redaktion: Ulrike Krenzlin)