Johannes Bruns Garzweiler . Tagebau

Garzweiler . Tagebau
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1989 – das waren entfernte Bilder, „Bild“-Zeitung im Supermarkt, die Fernseher anderer Leute. Unten steht, was mich damals beschäftigte und bewegte.

1.    1989 ist das dritte Jahr meiner intensiven Arbeit am Tagebau Garzweiler. Aus spora­dischen sind bald regelmäßige Besuche geworden. Die nächste Stufe der Verstetigung ist die der Aufnahmeorte. Zuerst umgesetzt bei der Dokumentation der Abrissarbeiten am Dorf Garzweiler mit Aufnahmen gleicher Einstellungen von gleichen Standpunkten in regelmäßigen Abständen. Das setze ich nun mit ebenso zyklischen Besuchen gleicher Standorte am Rand des Tagebaus fort. Die Organisation der Besuche passe ich dabei den fotografischen Bedingungen immer weiter an. Für die dokumentarische Architekturfotografie ist die Winterzeit oft die günstigere, zum Beispiel durch das oft indifferente Licht, das unabhängig von der Tageszeit eine freiere Standortwahl bei der Aufnahme gewährt, einschließlich der gegenlichtfreien Aufnahme von Nordfassaden. Der Tagebau hat andere Bedingungen: Um die Strukturen der Grabungen zu betonen, braucht es Sonnenlicht. Besonders plastische Wirkungen werden mit dem den Morgen- und Abendstunden vorbehaltenen Streiflicht erzielt. Das Morgenlicht hat den Vorzug der Dunstfreiheit und damit der besseren Fernsicht, bei einer Ausdehnung der Motive von 10 bis zu 20 Kilometern in der Tiefe ein wichtiger Vorteil. Dementsprechend gilt es, bereits vor Sonnenaufgang vor Ort zu sein.
Der Tagebau liegt 40 Kilometer von meinem Wohnort entfernt, gute zwei Stunden Fahrt mit dem Rad. Die notwendige Beweglichkeit vor Ort ist nur mit einem Fahrrad gewährleistet, alles andere ist bei der Weiträumigkeit des Geländes nicht praktikabel und ob der Absperrungen und Geländehindernisse nicht möglich oder nicht legal. Die von mir vor 1989 benutzte Fach­kameraausrüstung für das Format 9 ×12 wiegt einschließlich Stativ 12 Kilo und ist gerade noch rucksacktauglich. Im Sommer nutze ich die Nachtstunden ohnehin regelmäßig für die Laborarbeit, nun dient sie auch dazu, mich bis zum Aufbruch um drei Uhr morgens wach zu halten. Nach dem Wechsel auf das Format 13 ×18 mit gut 40 Kilogramm Ausrüstungsgewicht steige ich notgedrungen auf ein Lastenrad um.
Um die anstrengende Fahrt während der Stunden mit der geringsten physischen Leistungsfähigkeit zu vermeiden, verlege ich die Anfahrt auf den Vortag. Der Rhythmus ist nun fahren –
ruhen – aufnehmen – fahren, das Ganze dauert vom späten Nachmittag bis zum Mittag des folgenden Tages. Für das kurze Nachtlager reicht mir eine Plane und ein Schlafsack.

2.     Über mehrere Generationen sind meine Vorfahren am linken Niederrhein verwurzelt, und es gibt keine familiären Verbindungen in die DDR. Von der Verwandtschaft weiß ich mehr über den 40 Jahre vergangenen Krieg als über das gleichzeitige andere Deutschland. Alle nicht der offiziellen Diktion entsprechenden Kenntnisse, die ich über die DDR habe, entstammen den Interviews mit Heiner Müller in der „Transatlantik“. Seine Arbeiten kenne ich nicht, die darstellenden Künste im Allgemeinen, das Theater insbesondere, spielt sich außerhalb meiner Wahrnehmung ab.
Mein Reflex auf die aufbrechenden DDR-Bürger ist die Frage, wo sie eigentlich hinwollen. In der von ­­Rezession und Endzeit geprägten BRD der späten achtziger Jahre ist kein Platz für sie, jedenfalls nicht der, den sie sich erhoffen. Anders herum wird der real existierende Kapitalismus keine postsozialistischen Utopien vor seiner Haustür überleben lassen.
Bestenfalls: Kaufen.
Damit sind alle Hoffnungen der DDR-Bürger auf die Teilhabe am ‚goldenen Westen‘ von vornherein Trugbilder. Aber wer will das hören?
Und wiewohl das absehbare Ende des honeckerschen Absurdistans Grund zur Freude ist, reicht es für den ‚dritten Weg‘ nicht zur Hoffnung, nur zum kurzen Traum.