Wim Wenders Bungle Bungles (Australien) . Der Engel

Bungle Bungles (Australien) . Der Engel
Bungle Bungles (Australien) . Der Engel Bungle Bungles (Australien) . Der Engel

Als am Ende der Welt die Mauer fiel …

Im Herbst 1989 war ich in Australien

auf Motivsuche für meinen Film Bis ans Ende der Welt.

Und genau da war ich Anfang November: am Rand der Welt.

Weiter konnte man von Berlin aus kaum entfernt sein:

Da mußte man erst 24 Stunden lang nach Sydney fliegen,

dann mit einer Linienmaschine 3 Stunden lang ins Landesinnere,

nach Alice Springs,

dann mit einer Propellermaschine noch mal 4 Stunden

an die Nordküste, nach Broome,

und dann mit einer gecharterten Cessna 3 Stunden

bis zu einem Kaff in der westaustralischen Wüste

namens Turkey Creek.

Dann war man wirklich am Arsch der Welt.


Von da aus sind wir dann mit einem Land Cruiser über Sandpisten

10 Stunden weiter bis tief in die Bungle Bungles gefahren,

einem ehemaligen Korallenriff aus der Zeit,

als dort vor zig Millionen von Jahren noch Ozean war.

Wir waren endlos weit weg von jeder Zivilisation …

Alle paar Tage musste jemand nach Turkey Creek zurück,

um Proviant zu kaufen.

Das war in der Zeit vor Mobil- oder gar Satellitentelefonen.

Uns konnte kein Mensch erreichen.

Aber in Turkey Creek gab es ein Faxgerät

in dem einzigen Gemischtwarenladen weit und breit,

und die Nummer hatte ich an mein Büro in Berlin weitergegeben.

Und dann kam also eines Tages der Wagen mit dem Proviant

zurück zu unserem Camp in den Bungle Bungles,

und hatte ein zusammengerolltes Fax für mich dabei.

Sie erinnern sich vielleicht an diese fürchterlichen Ausdrucke,

auf dünnem Thermopapier,

das zum Verrecken nicht glattzustreichen war.

Und Fotos konnte man damit ohnehin nicht versenden!

Auf jeden Fall war das ein rabenschwarzes Faxröllchen,

und mit ganz viel Fantasie konnte man darauf Umrisse erkennen:

Menschen, die auf der Mauer tanzten?

Dazu unleserliche Überschriften, partout nicht zu entziffern.

Wir starrten auf diese schwarzen Bilder.

Was sollte das heißen?

War die Mauer gefallen?

Wie lang war das schon her?

War das alles nur ein Spuk?

Waren die russischen Panzer nicht längst aufgefahren?

Was war in Berlin los?!


Ich bin also am nächsten Morgen in aller Herrgottsfrühe

gleich wieder in den Land Cruiser gestiegen

und bin nach Turkey Creek zurückgefahren,

über endlose Sandpisten, stundenlang,

und habe in dem Gemischtwarenladen

schließlich eine Leitung nach Berlin bekommen.

Dort war’s tief in der Nacht,

aber irgendjemanden aus meinem Büro konnte ich aufwecken.

Die Verbindung war schlecht, nur soviel war zu verstehen:

die Mauer war tatsächlich offen,

die Berliner waren aus dem Häuschen,

der Rest der Welt auch,

und es gab keine Gebrauchtwagen und keine Bananen mehr

in ganz West-Berlin!

Dann brach die Leitung wieder ab.


Eigentlich haben wir da draußen in der Wüste

keinen Alkohol getrunken,

aber an dem Tag habe ich ausnahmsweise ein paar Flaschen Wein

und einen Kasten Bier mitgenommen, und viel Eis,

und bin damit zurück ins Camp.


Auf dem Weg habe ich einen Engel getroffen, am Wegesrand.

Genau genommen war es nur ein ziemlich verrückter Termitenhügel,

aber das Bild hat mir so gut gefallen,

daß ich aus dem Auto ausgestiegen bin,

um den gewaltigen Schutzengel zu fotografieren,

der da mitten in Australien seine Berliner Kollegen grüßte …