Anett Stuth Leipzig, Hochschule für Grafik und Buchkunst

Leipzig, Hochschule für Grafik und Buchkunst

In diesem Raum hatte ich zuvor meine Eignungsprüfung für „künstlerische Fotografie“ bestanden und begann dort im September 1989 mit dem Studium. Das war gleichzeitig der Beginn der Montagsdemonstrationen und der Wende, der Auflösung der DDR. Man konnte in diesem Raum Fotos auf der alten Lichtwanne betrachten und hängte z. B. auch Demonstrationsbilder aus dieser Zeit an die Schränke.

Ich fuhr am 20. November wie jeden Montag von meinem Wohnort Ostberlin nach Leipzig an die HGB. Die Mauer war gefallen. Das war ein unbeschreibliches Gefühl. Am Wochen­ende hatte ich gute Freunde in Westberlin besucht. Ich wusste, es würde sich sehr viel verändern. Mein Begrüßungsgeld holte ich nicht ab, und ich schämte mich einfach für das zügellose Konsum­verhalten der meisten Ostler. Das große Euphorie-Gefühl während der Demonstrationen bekam jetzt die ersten Risse. So glücklich ich über die unglaublichen Ereignisse war, kam bei mir aber auch gleichzeitig die traurige Ernüchterung darüber auf, dass die gemeinsamen ­Kämpfe auf der Straße gegen das starre DDR-Regime nun im Sturm auf die Supermärkte im Westen endeten. Mein Foto ist für mich Sinnbild für die Stagnation und die Ärmlichkeit der alten DDR und den damit notwendigen Veränderungen. Der Staub der Geschichte scheint schon im und über dem Bild zu liegen. Im Bild befindet sich noch ein Foto mit dem Verweis auf die großen Massendemonstrationen im Oktober 1989. Der Sektkorken auf der Lichtwanne ist noch ein Überrest unserer Ausgelassenheit und Freude in dieser Zeit. Für mich bedeutete der Mauerfall und das Ende der DDR eine unglaubliche Befreiung. Dennoch fühle ich in diesem Bild auch den Schmerz eines nicht zu benennenden Verlustes.